Bilder und Fotos von campagnolo.com.
Campa hat Ende 2020 kürzlich ihre neueste Weiterentwicklung der Schaltwerksgruppen vorgestellt. Die Ekar Gruppe. Sie erweitert das bestehende Sortiment um ein Familienmitglied, welches speziell das Gravel-Bike-Segment bedienen soll. Für Campagnolo ist dieses Mountainbike-Terrain Neuland. Und mit einem Paukenschlag wurde verkündet: 13 Gänge. Badabum. Hier ein kleiner Rant über diese durch Marketing befeuerte Entwicklung. Und eine technische Abhandlung und Vergleich mit der Shimano GRX und SRAM Gruppen. Für wen ist die Ekar tatsächlich gemacht?
Ankündigung und Reviews
Da es bereits haufenweise Reviews zur neuen Ekar Gruppe gibt will ich folgende hervorheben. Statt selbst eins zu schreiben, welches keinen Mehrwert gegenüber diesen Beiträgen hätte.
Das beste Review mit Fahrbericht gibts auf Rennrad-News: Ekar Testbericht
Das beste internationale Review findet ihr auf Bikepacking.com: The Campagnolo Ekar 13-Speed Drivetrain is made for Gravel
Im Gespräch hat auch der Antritt Podcast in der Okt 2020 Ausgabe von der Ekar Gruppe berichtet, im Gespräch mit Jens Klötzer vom TOUR-Magazin.
Wer etwas kritisches lesen möchte bleibt hier 😉
Potential der Campagnolo Ekar
Die neue Gruppe setzt folgende Akzente, welche sie tatsächlich auf dem Markt von den Mitbewerbern abhebt:
- Die neue Gruppe ist besonders leicht, sogar die leichteste Schaltwerksgruppe im Segment mit 2.486g (Gesamtgewicht von Hebel bis Kassette). Diese Werte erreicht man mit der Shimano GRX und SRAM nicht.
- 9 bis 42 Ritzel ergeben eine Schaltwerksbandbreite von über 450%. Das ist besonders für schnelle Abfahrten außergewöhnlich. Durch die 13 Gänge erreicht die Ekar die feinste Abstufung der Gänge.
- Rein mechanische Option, keine elektrische Variante verfügbar. Anders als Shimano und SRAM setzt Campa als einziger Hersteller auf eine moderne Gruppe ganz ohne Strom.
- Ausschließlich als 1x Schaltwerk erhältlich. Einen Umwerfer vorne wird man nicht finden, da Campagnolo dem Trend folgt und die Schaltung komplett auf das Schaltwerk am Hinterrad verlagert.
Das Schaltwerk der Ekar unterstützt folgende Optionen:
- Endurance: 9-36 (9-10-11-12-13-14-16-18-20-23-27-31-36)
- Gravel Race: 9-42 (9-10-11-12-13-14-16-18-21-25-30-36-42)
- Gravel Adventure: 10-44 (10-11-12-13-14-15-17-19-22-26-32-39-44)
Vorne hat man die Option folgende Kettenblätter zu installieren. Diese können sogar besonders schnell gewechselt werden, da man die Kurbel und Pedal zum Austausch nicht demontieren muss!
- 38er Kettenblatt
- 40er Kettenblatt
- 42er Kettenblatt
- 44er Kettenblatt
Es gibt die gewohnten Kurbellängen von 165mm bis 175mm.
Beim Schaltwerk stechen die besonders großen Umlenkrollen hervor. Damit folgt Campagnolo einem weiteren Trend aus dem Rennradsegment. Hier belegen Studien, dass die Kette besonders gut läuft wenn diese Umlenkrollen einen größeren Radius haben.
Ekar vs GRX vs Eagle
Shimano ist der Platzhirsch für Rennrad- und Einsteiger-Komponenten. Kaum ein Rad im günstigsten Segment hat keine Shimano Schaltung, die vor allem für die Masse produziert ist. SRAM dominiert den Mountainbike-Markt und findet sich bei ambitionierten Rennradlern am Rad wieder. Campagnolo ist eher der Underdog, die Komponenten werden in überschaubarer Zahl komplett innerhalb der EU hergestellt. Es ist bis heute ein Familienbetrieb. Diese drei Marken kämpfen um den Radfahrer als Kunden.
Wie schlagen sich die besagten Drei auf objektiver Ebene? Speziell im Gravel-Segment haben alle drei Hersteller eine dedizierte Lösung parat. Bei Shimano ist es die GRX Gruppe. Bei SRAM kann man direkt MTB Schaltung mit Rennrad-Bremshebeln kombinieren im „Mullet“ Build. Campagnolos Ekar ist der neue Herausforderer im Ring. Wie schlägt sich diese Gruppe im Ritzelrechner-Vergleich?
Ekar vs GRX / 105 / Ultegra
Zwar ist die GRX die direkte Konkurrenzveranstaltung. Jedoch ist die Ekar auch gleichzeitig eine echte Option für Sprints. Deshalb habe ich auch zum Vergleich die Ultegra Gruppe mit der Ekar verglichen.
Die schnellste Ekar Kombination ist die 44×9-36. Hier erreicht man mit einer Kadenz von 100 Umdrehungen schon knapp 60km/h. Das ist mehr als ordentlich. Ja, man könnte damit auch echt flott einen Pass auf Asphalt hinunterschießen. Der schnellste Gang mit 44×9 (4,89 Umdrehungsfaktor von großem Kettenblatt auf das kleinste Ritzel) liegt sogar über der 53×11 (4,82 Umdrehungsfaktor) der Shimano Ultegra! Eine Ultegra mit 53×11 erreicht im höchsten Gang etwas weniger als 60km/h.
Gleichzeitig hat die 1-fache Schaltung von Campa eine größere Bandbeite als die beiden Kettenblätter der Ultegra (mit 53×11 als schnellsten Gang und 39×25 im kleinsten Berggang).
Mit der Shimano GRX hat man die Option eine 2-fach oder 1-fach Schaltung zu fahren. Schauen wir im ersten Schritt mal wie sich die 2-fach mit der Ekar schlägt.
Wieder ist die Höchstgeschwindigkeit der Ekar nicht einzuholen. Da die GRX sich auch gar nicht als Option für Sprints gedacht ist (mit 46×11 als höchsten Gang). In den Berggängen ist die 2-fach Version der GRX als 30er Kettenblatt sehr viel Feinstufiger als die Ekar. Auch kann man einen deutlich niedrigeren Gang einstellen, um zB. mit Gepäck eine extreme Steigung zu überwinden.
In der Adventure-Version der Ekar kommt ein höchster Gang mit 40×10 zum Einsatz. Damit reduziert sich die Endgeschwindigkeit zwar, aber die Bandbreite ist insgesamt weiterhin einsame Spitze.
Im Vergleich der bandbreitenstärksten GRX und Ekar als 1-fach Schaltung zeigt die 13-fache Campa Schaltung wieder ihre Stärken. Die Bandbreite von weniger als 5km/h und gleichzeitig über 45km/h ist maximal. Die GRX ist feiner abgestuft und erreicht diese extremen Werte nicht.
Ekar vs Mullet Build
SRAM hat das vielseitigste Programm für Schaltungskombinationen auf dem Markt. Da praktisch alle modernen MTB und Road Schaltungen gut miteinander arbeiten können. So zum Beispiel eine 1-fache Gravel-Schaltung als „Mullet-Build“. Mit einem 42er Kettenblatt der SRAM Force Gruppe kombiniert mit einer XX1 (10-50 Zähne) Kassette. Diese Kombination ist im Gravel Segment nicht nur sehr beliebt, sondern hat auch eine echt starke Bandbreite. Wie schlägt sich diese aber mit der Ekar?
Auch hier ist die Ausgangsgeschwindigkeit der Ekar unerreicht. Die 9 Ritzel machen den größten Unterschied, die für eine gigantische Entfaltung sorgen. Die SRAM Rival mit XX1 kombiniert ist zwar noch Reichweitenstärker als die GRX von Shimano. Doch die Ekar schlägt auch diese Kombination, zumindest was die gesamte Reichweite angeht. Obwohl in den Berggängen die SRAM Schaltung etwas mehr Luft hat.
Fazit zum Vergleich mit Shimano und SRAM
Ekar steht für Speed. Abseits und auf der Straße. Damit positioniert sich Campagnolo ganz klar im Marktsegment. Die 1-fache Schaltung soll gerade die Rennradfahrer ansprechen, die nun auf den Gravel-Bike Hype aufspringen wollen. Wer sein Gravel-Bike also gerne auf asphaltierten Straßen nutzen möchte, viel Bergab und in Sportgruppen fährt, der wird mit der Ekar seine Freude haben.
13 Gänge – Muss das sein?
Campagnolo hat in den letzten 80 Jahren Unternehmensgeschichte im Rennradsegment mehrfach mit Innovation getrumpft. Der Mythos um die Erfindung des Schnellspanners gilt als Keimpunkt des Unternehmens. Auf diesem baut die italienische Marke auf und hält sich seinen harten Kern eingeschworener Fans.
Heute ist Marketing aber häufig die treibende Kraft, weniger die echte Innovation. In einem Markt, der sehr stark von objektiven Werten lebt. Wo der Vergleich immer auf Zahlen erfolgt. Es scheint die meisten Hersteller fühlen sich genötigt immer eine Zahl mehr drauf zu legen. Campa schlägt hier gleich zwei Stränge, die vorher keiner gegangen ist. Das kleinste Ritzel der Welt kombiniert mit den meisten nebeneinander liegenden Ritzeln in einer Kassette.
Alle Spezifikationen sind schön und gut. Auf das reine Datenblatt heruntergebrochen ist die Ekar eine echte Meisterleistung. Sie hat die meisten Gänge an einem Ritzel. Applaus. Auch andere theoretisch errechneten Werte sind absolute Spitze. Wenn man Produkte nach diesen Merkmalen abwärts sortieren würde, dann stünde die Ekar immer an der Spitze.
In einer datengetriebenen Welt, in der jeder Kunde sich viele Reviews und Daten im Internet recherchiert, ist dieses Vorgehen der Hersteller kein Wunder. Diese Ökosystem befeuert die Weiterentwicklung der Produkte in eine ganz spezielle Richtung: die Zahlen müssen hoch! Egal zu welchem Preis. Man könnte meinen die simple Reduktion auf 9 Ritzel am kleinsten Ritzel und 13 nebeneinander liegende Ritzel hätte nur Vorteile. Dabei spricht auch einiges dagegen.
Hier wird’s eng!
Fangen wir mit den 13 Gängen an. Man kann die Einbaubreite des Hinterrads nicht beliebig größer und größer machen. Viel mehr versuchen die Ingenuere nur den gegebenen Platz von 142mm weiter und weiter auszunutzen. Damit sinken die Toleranzen für die Indexierung an der Schaltung. Gerade bei einer mechanischen Lösung, die grober als eine elektrisch indexierte arbeitet, ist das eine gigantische Herausforderung.
In einem tollen Videobeitrag sagt ein bekannter (wenn nicht sogar der bekannteste) Mountainbike-Youtuber „Seths Bike Hacks“ (Channel heißt heute Berm Peak) etwas entscheidendes:
Die Vorteile aus seiner Sicht, die ihn veranlasst haben lieber auf eine 9-fach Schaltung zu wechseln statt 12 oder 13 Gänge:
- Bessere Indexierung, durch die höheren Toleranzen
- Wartungsärmere Kette (da mehr Gänge eine schmalere Kette benötigen, die sich schneller abnutzt und fragiler ist)
- Geringere Wartungsintervalle der gesamten Schaltung
Da steckt viel Wahrheit drin. Mit mehr Gängen am Hinterrad kommt der Nachteil, dass die Schaltung stärker beansprucht wird und mit fragileren Teilen gearbeitet wird. Mit jedem Gang wird die Toleranz für Abweichungen kleiner und kleiner. Schon eine leicht verstellte Zugeinstellung der Schaltung wird zu einer falsche Indexierung führen. Welche bei einer 10-Gang Schaltung noch kein Problem darstellen würde.
Beanspruchte Ritzel – Geht das gut?
Neben dieser Herausforderung ans Material gibt es auch an dem 9-Gang Ritzel einiges kritisch zu hinterfragen. Im Antritt Podcast von März 2019 bemerkt der Radtechnik-Experte Jens Klötzer vom TOUR-Magazin, dass die 10er Ritzel von SRAM ein echtes Extrem sind. Jetzt kommt Campa mit 9 Gängen um die Ecke. Kann das gut gehen?
Problematisch ist dabei vor allem, dass es keinerlei Erfahrungswerte zu so kleinen Ritzeln gibt. Die Herausforderung ist einerseits zur langfristigen Abnutzung eines so kleinen Ritzels (die Kette legt sich eher weniger rund ab, aufgrund des engen Radius des Ritzels). Andererseits ist da die Frage der optimalen Kraftübertragung, ob die Kette wirklich gut sitzt wenn so wenige Zähne sie greifen. Das wird sich leider erst durch Feldtests beweisen müssen. Wenn beispielsweise Profis mit der Ekar auf die Paris – Roubaix Strecke losgelassen werden. Ob die Gänge da unter extremen Bedingungen nicht durchrutschen? Wird sich zeigen müssen.
Generelle Stärken und Schwächen der Ekar
Vorteile
- Gute Preisposition (teurer als GRX aber günstiger als SRAM)
- Unvergleichliche Reichweite (Verhältnis kleinster Gang zu größtem Gang)
- Schnellste Option auf dem Markt (Spitzengeschwindigkeit im Sprint)
- Campagnolo (Traditionshersteller im Familienbetrieb, heute etwas Einzigartiges)
- Superleicht (alle Komponenten gesamt unterhalb 2,5kg)
Nachteile
- Fragile Komponenten (Kette) und damit verbundene enge Wartungsintervalle
- Unbekannte Langlebigkeit
- Fragwürdige Effizienz im höchsten Gang (9er Ritzel)
- Ausschließlich mechanische Option, keine 2-fach Option
- Keine Option für steile Anstiege mit Gepäck (Bikepacking)
Fazit: Für wen ist die Ekar?
Im Vergleich der Gruppen von Shimano, SRAM und Campa wird eines deutlich. Die Ekar von Campagnolo ist auf Speed ausgelegt. Denn der Rennrad-Komponentenhersteller möchte auch hier die Muskeln spielen lassen. Wenn Du also besonders schnell im Wald unterwegs sein möchtest und Sprints dein Ding sind, dann bist Du bei Campa richtig. Die Ausgangsgeschwindigkeit ist Spitze. Aber auch die steilsten Berganstiege werden noch gut bedient.
Für Bikepacking und lange Touren ist die Ekar aber nicht die erste Wahl. Es ist denkbar, dass die Zuverlässigkeit und Wartung eine echte Achillesferse werden. Gleichzeitig ist die Geschwindigkeit jenseits der 50km/h fürs Bikepacking und Touring kein relevanter Faktor. Auch am Berg mit Gepäck sind andere Optionen die bessere Wahl.
Werden sich die 13 Gänge durchsetzen? Es ist schön zu sehen, dass sich auf dem Markt etwas bewegt. Und Innovationen beflügeln immer den Wettbewerb. Doch selbst hoffe ich, dass die anderen Hersteller nicht zwangsläufig auf diesen Zug aufspringen. Ja, es könnte sogar gerade dann eine echte Marktdiversifikation allein durch die „wenigen“ Gänge gegeben sein. Wenn man für viele Optionen (1-fach, 2-fach, mechanisch oder elektrisch) und Zuverlässigkeit steht, dann könnte die Shimano GRX ihre Position gerne beibehalten. Konsistenz ist leider ein unterschätzter Faktor. Wo Marketing die Welt regiert.
Was denkt ihr?