Bikefitting ist eine neue Wissenschaft rund um die Sitzposition auf dem Fahrrad. Es gibt verschiedene Ansätze, doch allen gemein ist das Ziel, einem Radfahrer mittels einer persönlichen Beratung und verschiedener Messverfahren zu einer idealen Position auf dem Fahrrad zu verhelfen.
Wir hatten Gelegenheit, ein Interview zu führen mit Philip Kaczmarowski, einem erfahrenen Bikefitter aus Hamburg, der uns mehr über dieses Thema und über seine eigenen Beweggründe erzählt hat.
Bikefitting: Viele Methoden zu einem Ziel
Wie eingangs erläutert geht es beim Bikefitting darum, die möglichst komfortable und effektive Sitzposition für den individuellen Radfahrer zu ermitteln und dann am Rad umzusetzen. Dabei werden unter anderem Position und Einstellung des Lenkers, Art, Höhe und Winkel des Sattels, Cleat-Position und Float-Winkel angepasst. Auch kann man durch das Bikefitting die ideale Rahmenform für den individuellen Fahrer feststellen, um bei dem Kauf eines Fahrrads ein ideales Ergebnis zu erzielen.
Verschiedene Anbieter im Überblick
Es gibt hierbei verschiedene Anbieter, die alle unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen benutzen, um zu diesem Ziel zu kommen. Viele Bikefitter-Teams nutzen hierbei das Fachwissen verschiedener Bereichen der Wissenschaft – so haben manche eher einen Fokus in der Physiotherapie, während andere die Mathematik oder die Computer-Analyse in den Vordergrund setzen.
Das Body Geometry-Programm von Specialized zum Beispiel entwickelte in Zusammenarbeit mit medizinischen Handexperten spezielle Equalizer-Einlagen, um bei eventuellen Mängeln in der Handhaltung entgegenzuwirken. Das Gesundheitszentrum Feldberg hingegen geht bei der „Professionellen Radvermessung und Sitzpositionsanalyse“ die Sache komplett vom Blickpunkt der Gesundheit aus und setzt auf die Wissenschaft der Biomechanik.
Viele der verschiedenen Anbieter setzen vor allem auch auf die individuelle Erfahrungen ihrer Bikefitter. Deshalb ist es ratsam, sich vor einem Bikefitting über die Schwerpunkte des jeweiligen Bikefitters und des Bikefitting-Programms zu informieren. Vor allem diejenigen, die akute Beschwerden in einem bestimmten Körperteil empfinden, sollten schon vor der Wahl des Bikefitters Recherche betreiben. Sei es Schmerzen im Rücken, Knien, Beinen, Füßen, Po, Nacken oder Händen – mit einem Bikefitting sollte sich eine individuelle Lösung finden.
Inzwischen bekommt man überall in Deutschland eine Auswahl an verschiedenen Bikefitting-Systemen. Es gibt noch viele Anbieter, die an einen einzelnen oder an wenige Standorte gebunden sind – wie etwa Medletics in Hamburg oder das Concept-Lab gebioMized in Münster – aber auch schon einige Fahrradgeschäftsketten, die ihr Bikefitting-Konzept erfolgreich an vielen verschiedenen Orten verkaufen, wie Sattelkompetenz und Specialized.
Für wen eignet sich das Bikefitting?
Dank des differenzierten Angebots der meisten Bikefitter findet sich das ideale Bikefitting-Paket für fast jeden Radfahrer. So bieten viele Anbieter auch ein „Basic“-Paket für Hobby-Sportler an, das dementsprechend wenig Zeit in Anspruch nimmt und auch nicht all zu viel Geld in Anspruch nimmt. Hier findet man zwar nicht heraus, um wie viel Millimeter und um wie viel Grad genau alles justiert sein sollte – doch zumindest die wesentliche Position wird ermittelt. Wer sich dazu noch nie groß Gedanken gemacht hat, wird hier eventuell eine große Überraschung erleben.
Wer öfters nach dem Fahren Schmerzen am Körper hat oder aufgrund von Vorerfahrungen Grund zur Befürchtung einer Verletzung hat, sollte schon auf ein umfangreicheres Paket setzen. Denn es ist nun mal so, dass die Position auf dem Rad vom biologischen Standpunkt aus eine unnatürliche Haltung für den Menschen ist. Wenn man in dieser Haltung nun sehr viel Zeit verbringt und dabei ständig Kraft ausübt auf die verschiedenen Gliedmaßen, kann es schon mal zu einer Verletzung oder Versteifung kommen.
Bikefitter glauben daran, dass sie dieses Risiko minimieren können und dabei auch noch Komfort und Effizienz beim Radsport optimieren. Deshalb setzen viele Profi-Radsportler auf ein umfangreiches Bikefitting.
Ein Bikefitting vor dem Kauf eines neuen Fahrrads
Die körperliche Geometrie des Menschen ist teils anpassungsfähig, teils starr – dadurch können auf lange Sicht Schäden am Körper entstehen, wenn man zu lange versucht, den Körper all zu sehr anzupassen. Die Geometrie des Fahrrads nämlich ist im Wesentlichen völlig starr – wenn man nicht von einem Schweißgerät Gebrauch macht.
Aus diesem Grund lohnt sich das Bikefitting gerade dann, wenn man sich überlegt, ein neues Fahrrad zu kaufen. Bevor man erst in die Situation kommt, das Fahrrad ständig umzubauen, kann man so schon vorher sicherstellen, das perfekte Rad zu bekommen. Zudem lässt sich so schon vorher die ideale Rahmengeometrie feststellen.
Auch ohne Bikefitting ist es absolut ratsam, anhand der eigenen Körpermaße die richtige Rahmenform und -Rahmenhöhe zu berechnen. Mehr dazu in unserem Beitrag: So findet Ihr die richtige Rahmenhöhe fürs Fahrrad. Dabei unterliegt man alleine jedoch großen Einschränkungen – denn der menschliche Körper lässt sich nicht bloß durch ein paar Maße und Zahlen definieren. Jeder Körper ist individuell und jede Körperform ist unterschiedlich beweglich. Bei einem professionellen Bikefitting wird konkret festgestellt, welche Kräfte im Körper aufeinanderwirken, wenn man in einer bestimmten Weise im Sattel sitzt.
Interview mit Philip Kaczmarowski
Um das Thema besser vorzustellen, haben wir heute einen Profi im Bikefitting und auf dem Rennrad gefragt: Philip Kaczmarowski. Als passionierter Rennradfahrer und langjähriger Bikefitter stellte er sich unseren Fragen.
FRnet: Philip – stell dich bitte einmal vor, wer bist Du und was machst Du?
PK: Ich bin Philip Kaczmarowski, studierter Elektroingenieur und
Innovationsmanager, amtierender Weltmeister im Straßenradsport (Betriebssport), Teamchef des Radteams CYCLE-INNOVATE-BikeFitting und Geschäftsführer des Hamburger Kleinunternehmens CYCLE-INNOVATE.
FRnet: Wie bist Du zum Thema Bikefitting gekommen?
PK: 2005 habe ich mich zum ersten mal mit dem Thema beschäftigt, da ich selber große Probleme mit der Sitzposition auf dem Rennrad hatte.
Viele Einsteiger, Jedermänner oder Lizenzfahrer orientieren sich zunächst an den Profis im Fernsehen oder Magazinen, was natürlich durch individuelle Einschränkungen (z.B. Operationen, Job, andere Hobbys) nicht ohne Schmerzen funktioniert.
Durch mein technisches Studium kam dann die Idee, eine Maschine zu Entwickeln, welche die individuellen Einschränkungen jedes Sportlers berücksichtigt.
FRnet: Weshalb ist das Thema Dir persönlich so wichtig?
PK: Das Rennrad ist für mich ein Ausgleich und mit einem Yoga-Programm zu vergleichen. Ich möchte mich nach der Arbeit auf das Rad schwingen und abschalten.
Physische Schmerzen oder gar Folgeschäden durch eine falsche Sitzposition gehören nicht zu meiner Freizeit und sollten auch keine Chance bekommen. Beim Radfahren, möchte ich einfach nur Radfahren und mich nicht von Schmerzen ablenken lassen.
Es wäre schade wenn Einsteiger aufgrund von Schmerzen die Motivation am Radsport verlieren würden.
FRnet: Wie habt ihr die erste Bikefitting Maschine gebaut?
PK: Mit der ersten Maschine habe ich im Wohnzimmer angefangen. Dort habe ich die Dimensionierung errechnet und die Steuerungsprogramme geschrieben. Als die Pläne fertig waren, habe ich alle Bauteile und Zubehör erstmal nach Hause bestellt – eine Tonne an Arbeitsmaterial führen dazu, dass man kein Wohnzimmer mehr hat 🙂
Den Bau der Maschine haben wir dann in eine richtige Werkstatt verlegt.
FRnet: 5. Hattest Du Inspirationen?
PK: Meine gute Freundin und Arbeitskollegin Daniela Engnoth hat mich durch Ihre Arbeit als Physiotherapeutin und Heilpraktikerin sehr inspiriert. Gepaart mit den Erfahrungen aus meinem technischen Studium, konnte ich sehr gute neue Ideen in die Entwicklung der Maschine und unsere Analysemethode transferieren.
Auch heute noch nehmen wir Neues von den Sportlern mit und versuchen diese Informationen und Rückschlüsse in unsere Analyse einzubinden.
FRnet: Wie verbreitet ist das Thema BikeFitting bei Hobbyradlern?
PK: Bei jeder Trainingsfahrt sehe ich Radfahrer, die zum Teil sehr unruhig auf dem Rennrad sitzen.
Der Breitensport wächst aktuell sehr schnell. Ich denke, dass noch bei Vielen die Aufklärung und Sensibilisierung u.a. durch den Bund-Deutscher-Radfahrer erfolgen muss.
FRnet: Für welche Zielgruppe eignet sich ein Bikefitting?
PK: Der Körper verändert sich über die Jahre ständig, sodass auch die Sitzposition sich über die Jahre verändern muss.
Unser BikeFitting orientiert sich daher an Einsteiger, aber auch an leistungsorientierte Rennfahrer bis hin in die Radbundesliga.
Wir danken Philip Kaczmarowski für das aufschlussreiche Interview! Wer Interesse an der Sitzpositionsanalyse von Cycle-Innovate in Hamburg hat, der findet auf ihrer Webseite mehr Informationen und Preise.