Stress ist nicht das, was man sucht, wenn man eine Tour plant. Gerade nicht wenn man Nachts raus möchte um die Stille zu genießen. Stattdessen habe ich mich ausgesperrt und komme nicht in die Wohnung. Gleich zwei alte Kreditkarten gehen bei dem Versuch drauf die Tür zu knacken. Es hat schon mal so gut geklappt. Aber nicht heute. Gedanklich habe ich mit der Tour an diesem Abend abgeschlossen. Es wird dann aber doch noch eine Tour die lange im Gedächtnis bleibt.

Mein Handy klingelt und erlöst mich. Ich bin eine Stunde hinter dem Zeitplan und eigentlich macht jetzt ein Start keinen Sinn mehr. Doch meine bessere Hälfte macht einen Umweg und bringt mir den Schlüssel. 20 Minuten später bin ich in der Wohnung und lege meinen Plan zurecht. Wenn ich auf Pausen verzichte und die Kamera zuhause lasse, dann könnte ich bis 11 Uhr die letzte Fähre nehmen. Wenn nicht ist eine S-Bahn bei 3/4 der Strecke eine Option.

Schnell die Burritos für unterwegs machen. Rührei, Humus, Käse und Avocado – klingt wild aber schmeckt. Um kurz vor 7 rolle ich schon über die Elbe Richtung Süden. 80km durch Buchenwald, Mischwald und Nordheide. Um 20 Uhr geht die Sonne unter, danach gibts nur noch den Nabendynamo. Bei einem Schnitt von 20km/h sollte es klappen, was nicht unambitioniert ist für Waldwege im Dunkeln.

Glück im Unglück?

Auf den ersten Kilometern merke ich schon, wie in direkter Fahrtrichtung Regen zu sehen ist. Tatsächlich zeigt die Regenradar-App, dass ein Hitzegewitter (im April) direkt über meine geplante Strecke niedergeht. Aber bis ich vor Ort bin sollte der Regen weitergezogen sein. Tatsächlich rolle ich wenig später schon über nasse Straßen. Nicht nur der Nabendynamo macht sich an meinem Tourenbike bezahlt. Auch die Schutzbleche sind jetzt Gold wert.

Frische Regenluft atmend geht es immer weiter. Während am Horizont die Sonne bald verschwindet. Nicht ohne ein atemberaubendes Farbenspiel zu hinterlassen. Violette Farbtöne geben den vorbeiziehenden Regenwolken etwas mystisches, als es in die ersten Waldabschnitte geht.

Nachts allein im Wald

Schnell kann ein abenteuerliches Hochgefühl auch in Angst umschwenken. Gerade wenn man durch frischen Matsch in unbekannte Waldwege biegt. Im Schritttempo manövriert man dann sein Rad so durch den Wald, dass man ja nicht stehenbleibt. Die Dunkelheit hilft auch nicht die Moral zu steigern. Doch kaum verlässt man die Pfützen und den Wald fühlt sich das schon wie ein Teilerfolg an.

Geht doch – auf den besseren Wegabschnitten muss man dann etwas Zeit raus holen. Unbekannte Wege, auch als „off the beaten path“ bezeichnet, können schnell einen Strich durch geplante Geschwindigkeiten machen. Dafür muss ich auf ein paar kleine Berge und Aussichten verzichten.

Bis die Technik nachgibt

Ohne Puffer ist nicht nur der Zeitplan. Auch das Ersatzlicht in meiner Ausrüstung sollte nur im Notfall genutzt werden: die LED am Smartphone. Zwar verfügt mein schönes Tourenrad über Nabendynamo mit einer SON Edelux II, jedoch springt das Licht aus der provisorischen Halterung. Bei zitterigen Pisten und Schlaglöchern (also immer) bewegt sich der Lichtkegel so weit nach rechts, dass ich nichts von der Fahrbahn mehr sehe. Im absoluten Dunkeln kein Witz, wenn man plötzlich seine Linie nicht mehr sieht.

Mit einer Hand am Lenker und einer am Licht wird akrobatisch das Problem kurzfristig gelöst. Spaß macht das aber keinen. Jetzt weiß man ein gut eingestelltes Rad zu schätzen.

Stehenbleiben ist nicht, nachdem ich mit Buchholz den letzten großen Ort passiert habe bleibt es erst Mal dunkel. Kälte und Dunkelheit machen einen Stopp unmöglich, denn ohne Bewegung kein Licht. Die Lichtsituation wird so nicht zu lösen sein. Obwohl gerade die lange Tangente durch den Wald, die die Nordheide mit der Fischbeker Heide in Hamburg verbindet, besonders viel Spaß machen sollte, wird der Weg eher als besonders ungemütlich in Erinnerung bleiben.

Pfützen reflektieren mein Licht vom Boden in die Baumkronen. Geisterhafte Erscheinungen die dann auftauchen und mich zusammenzucken lassen. Mehrmals halte ich diese Lichter für Eulen oder andere fliegende Objekte.

Als das Licht plötzlich ausgeht wird mir doch etwas flau im Magen. Zum Glück stellt sich heraus, dass durch das ständige Zurechtrücken der Schalter sich gedreht hat und das Licht kommt schnell zurück. Bleibt man im Wald stehen so ist da plötzlich nichts mehr. Kein Geräusch, kein Licht, absolute Stille die nur durch die Geräuschkulisse des Waldes durchbrochen wird. Eine interessante Begegnung mit der Natur aber auch gleichzeitig etwas, was zum Weiterbewegen motiviert.

Endspurt

Die Aussicht vom Fernsehturm als auch den höchsten Punkt Hamburgs (Hasselbrack) lasse ich links liegen. Die Tourenplanung wird dynamisch angepasst, mit der Lichtsituation ist ein Sprint über richtige Straßen nötig. Hier bleibt das Licht in der richtigen Stellung und die letzten Kilometer ziehen schnell vorbei. Nur noch 40 Minuten bis zur Fähre um 22:45 Uhr.

Und tatsächlich klappt es wie geplant. Die 62er Fähre bringt die letzten Passagiere von Süderelbe direkt ins Herz von Hamburg. Die Landungsbrücken bei St.Pauli empfangen mich mit Touristenmassen und lauten Beats von einem Partyboot. Was für ein Kontrast, vom Wald in die Zivilisation.

So rolle ich die letzten Kilometer gemütlich nach Hause. Und mache mir Gedanken über die Ruhe und Hektik, die beide gleichzeitig diese Tour bestimmt haben.