Heute möchten wir einen Fensterblick in die Physik machen zum Thema Übersetzung und Entfaltung. Wieso man sich dafür interessieren sollte? Weil es ein ganz grundlegendes Verständnis dafür liefert, wie sich Deine Tretkraft in Antriebskraft verwandelt und welche Rolle dabei die Getriebe und die Gangschaltung des Fahrrads spielen. Dieser Beitrag eignet sich also für alle, die ein physikalisches Interesse haben, die mehr darüber erfahren wollen, wie das Fahrrad vorwärts kommt, oder die sich schon immer gefragt haben, wofür eine 27-Gangschaltung gut ist. Kann man ja doch genauso gut Fixie fahren mit nur einem Gang! Oder nicht? All das klären wir hier auf.

Übersetzung – Von der Tretkraft zum Drehmoment

Zuerst kommt die Übersetzung. Denn bei der Übersetzung dreht es sich darum, was passiert, wenn man in die Pedale des Fahrrads tritt. Zunächst ganz allgemein: Die Pedale sind mit der Kurbel verbunden, welche mit dem Kettenblatt (vordere Kassette) verbunden ist. Tritt man in die Pedale, dreht sich das Kettenblatt. Das Kettenblatt alleine tut aber noch nichts – nur durch die Verbindung der Fahrradkette zum Ritzel (hintere Kassette) dreht sich schließlich das Hinterrad. Kettenblatt und Ritzel sind unterschiedlich groß und haben unterschiedlich viele Zähne – in den allermeisten Fällen ist das Ritzel bedeutend kleiner als das Kettenblatt. Das heißt, dass eine Drehung des Kettenblatts eine Mehrzahl an Drehungen des Ritzels bewirkt. Das wiederum bedeutet, wenn man einmal in die Pedale des Fahrrads tritt, macht das Hinterrad eine Mehrzahl an Drehungen.

fahrrad-uebersetzung-entfaltung
Beispielhafte Rechnung – 2 zu 1

Bei der Übersetzung geht es um das genaue Drehzahlverhältnis von Kettenblatt und Ritzel. In einem ganz einfachen (aber durchaus realistischen) Beispiel nehmen wir ein Ritzel mit 11 Zähnen und ein Kettenblatt mit 44 Zähnen. Um die Übersetzung zu ermitteln, teilt man die Anzahl der Zähne des Kettenblatts durch die Zähne des Ritzels. Das ergibt eine Übersetzung von 4. Das heißt ganz praktisch ausgedrückt: Immer wenn das Kettenblatt eine ganze Umdrehung macht, macht das Ritzel vier ganze Umdrehungen.

Um es mathematisch auszudrücken kann man folgende beide (identische) Formeln benutzen.

Formel Übersetzung am Fahrrad
Wer es genau wissen möchte; Die Übersetzung ist das Ergebnis des Quotienten aus Anzahl Zähne am Ritzel und Kettenblatt oder die Anzahl der Drehungen vorne (Kettenblatt) zu hinten (Ritzel)

Entfaltung – Vom Drehmoment zur Vorwärtsbewegung

Das alleine ist womöglich schon ganz erhellend, doch ist das erst die halbe Tour. Wir brauchen noch einen physikalischen Begriff für die Vorwärtsbewegung des Fahrrads. Diesen finden wir in der Entfaltung. Unter Entfaltung versteht man nämlich den Weg, den das Fahrrad pro Kurbelumdrehung zurücklegt. Ganz praktisch formuliert: Wenn man genau eine Umdrehung der Kurbel / Pedale vollführt, bewegt sich das Fahrrad um eine bestimmte Anzahl an Metern, die man als Entfaltung beschreibt. In der Praxis verliert man natürlich immer noch ein wenig wegen dem Luftwiderstand und der Bodenhaftung dem sogenannten Reifenschlupf, doch theoretisch ergibt sich die Entfaltung alleine aus der Übersetzung und dem Umfang des Laufrads. Die Entfaltung hat also keinen direkten Bezug zum Roll- oder Luftwiderstand.

entfaltung am fahrrad
Entfaltung ist der Weg, den das Rad pro Kurbelumdrehung zurücklegt. Die Übersetzung von „2,5“ ergibt bei 2m Laufrad einen Weg von 5m.

Man muss sich die Entfaltung wirklich so vorstellen, als würde sich das Laufrad entfalten: Mit jeder ganzen Umdrehung des Laufrads entfaltet sich das Laufrad einmal und das Fahrrad bewegt sich um x Meter nach vorne, wobei x der Umfang des Laufrads ist. Im Bild ist die grüne „Schicht“ eine Lage die sich mit jeder Drehung von der Rolle entfaltet. Wenn sich die Pedale eine Runde gedreht haben, dann hat sich das Rad ums vielfache entfaltet.

Je mehr Umdrehungen das Ritzel (und somit das Laufrad) pro Kurbelumdrehung macht, desto öfter entfaltet sich das Laufrad und desto höher die Vorwärtsbewegung. Das heißt also, je höher die Übersetzung vom Kettenblatt zum Ritzel ist, desto schneller bewegt sich das Fahrrad pro Kurbelumdrehung.

Was bedeutet das für mich und mein Fahrrad?

Wer jetzt aufgepasst hat, weiß schon: Je nach Größe von Kettenblatt und Ritzel ändern sich Übersetzung und Entfaltung erheblich. Mithilfe der Gangschaltung hat man einen direkten Einfluss auf Übersetzung und Entfaltung.

Übersetzung und Entfaltung beim Fahren

Dadurch versteht man auch, warum man beim Losfahren des Fahrrads oder bei Aufwärtspassagen mit einem niedrigeren Gang fährt. Denn was heißt das konkret, wenn man im „niedrigen Gang“ ist? Wenn man nun beispielsweise vorne im 1. Gang ist und hinten im 3. Gang, heißt das, dass man vorne auf dem kleinsten Kettenblatt und hinten auf dem drittgrößten Ritzel ist. Damit nähert sich die Übersetzung einem 1:1-Verhältnis an (Kettenblatt und Ritzel ungefähr gleich groß). Das heißt ganz praktisch, dass man weniger Kraft braucht, um das Laufrad in Bewegung zu bringen.

Andererseits wird man aber keine allzu hohen Geschwindigkeiten erreichen im niedrigen Gang. Denn egal wie schnell man in die Pedale tritt, das Laufrad bewegt sich dann auch immer nur ungefähr so schnell, wie schnell man die Beine bewegt. Da könnte man genauso gut mit Fred-Feuerstein-Antrieb fahren! Deshalb schaltet man bei Abwärtsfahrten in den hohen Gang – das Ritzel ist hier sehr viel kleiner als das Kettenblatt und eine einzelne Umdrehung der Kurbel bedeutet eine Mehrzahl an Umdrehungen des Laufrads. Das erfordert mehr Kraft, aber bietet eine sehr viel höhere Entfaltung und Geschwindigkeitspotential.

Also was bringt die 27-Gangschaltung?

Demnach ist es von Vorteil, eine möglichst hohe Anzahl an Gängen zur Verfügung zu haben. Denn das heißt, dass man sowohl den vorderen als auch den hinteren Zahnkranz anpassen kann und am meisten Freiheit hat, was das Drehzahlverhältnis angeht. Wenn wir eine Nabenschaltung mit einer Kettenschaltung vergleichen, hat die Kettenschaltung eine sehr viel höhere Bandbreite an möglichen Übersetzungen, da man bei der Nabenschaltung nur hinten und nicht vorne schalten kann. Das bedeutet nicht nur, dass man mehr Abstufungen zwischen den Gängen hat, sondern auch, dass die geringstmögliche und höchstmögliche Übersetzung bei der Kettenschaltung die Nabenschaltung übertrifft! Das ist zumindest die Daumenregel – Vergleiche zwischen individuellen Naben- und Kettenschaltungen können auch anders aussehen.

Trotzdem ist das nur ein Faktor bei der Wahl der Schaltung am Fahrrad. Allgemein gilt: Je mehr Gänge man hat, desto mehr Gewicht hat die Gangschaltung. Eine Nabenschaltung jedoch wiegt fast immer mehr als eine Kettenschaltung – dafür hat das Nabensystem andere Vorteile gegenüber der Kettenschaltung.

Übersicht an Entfaltungen bei unterschiedlichen Fahrradschaltungen

In der folgenden Tabelle siehst Du Beispiele für verschiedene Fahrradschaltungen: Nabenschaltungen, typische Rennrad-, MTB und Trekkingradschaltungen. Dazu immer angegeben sind die Anzahl der Zähne am vorderen Kettenblatt und hinteren Ritzel bzw. die Reichweite an Zähnen bei den verschiedenen Zahnkränzen. Daraus ergibt sich dann eine bestimmte Minimum- und Maximum-Entfaltung bei der niedrigsten bzw. höchsten Übersetzung. Daraus wiederum kann man die Geschwindigkeit im niedrigsten bzw. höchsten Gang berechnen, wenn man 70 Kurbelumdrehungen in der Minute macht. Außerdem angegeben ist das Gewicht der jeweiligen Schaltung.

SchaltungsbeispieleEntfaltung kleinste -
größte Übersetzung
Geschwindigkeit bei 70 Kurbelumdrehungen/Minute in km/h - niedrigster GangGeschwindigkeit bei 70 Kurbelumdrehungen/Minute in km/h - höchster GangGewicht
3-Gang
Nabenschaltung
38 / 20 Zähne
3,0 - 5,7 m13 km/h25 km/h1.000 g
9-Gang
Nabenschaltung
38 / 20 Zähne
2,2 - 7,7 m9 km/h33 km/h1.900 g
14-Gang
Nabenschaltung
44 / 16 Zähne
1,7 - 8,9 m8 km/h42 km/h1.700 g
Stufenlose
Nabenschaltung
2,0 - 8,0 m9,5 km/h34 km/h2.500 g
20-Gang
Rennrad Kettenschaltung
39-53 / 12-25 Zähne
3,4 - 9,7 m14 km/h40 km/h800 g
27-Gang
MTB Kettenschaltung
22-44 / 11-34 Zähne
1,4 - 8,8 m6 km/h36 km/h1.200 g
27-Gang
Trekkingrad Kettenschaltung
26-48 / 11-32 Zähne
1,8 - 9,6 m7,5 km/h40 km/h1.200 g

Vor allem die Entfaltung ist von Interesse – denn an der kleinstmöglichen und höchstmöglichen Entfaltung sieht man einerseits, wie „leicht“ sich das Fahrrad im niedrigsten Gang fahren lässt und andererseits, wie viel Geschwindigkeitspotential das Fahrrad im höchsten Gang hat.

Beispiel an Übersetzungen bei einem typischen Trekkingrad

Hier zur Verdeutlichung noch ein Beispiel der möglichen Übersetzungen an einem typischen Trekkingrad. Zur Erinnerung: Die Übersetzung gibt an, wie oft sich das Ritzel / Laufrad dreht, wenn das Kettenblatt eine ganze Umdrehung macht.

Shimano Tourney Beispiel Übersetzung

Für die Tabelle nahmen wir die 7-fach Ritzelkassette und die 3-fach Kurbel einer Shimano Tourney-Schaltung – also eine 21-Gangschaltung. Vorne hat sie 24-42 Zähne und hinten 14-28. Zur Berechnung jeder möglichen Übersetzung nimmt man einfach die Anzahl der Zähne des Kettenblatts durch die Anzahl der Zähne des Ritzels geteilt.

Shimano Tourney
Übersetzungen
1. Kettenblatt
1. Gang vorne
24 Zähne
2. Kettenblatt
2. Gang vorne
34 Zähne
3. Kettenblatt
3. Gang vorne
42 Zähne
1. Ritzel
1. Gang hinten
28 Zähne
~0,86~1,211,5
2. Ritzel
2. Gang hinten
24 Zähne
1~1,421,75
3. Ritzel
3. Gang hinten
22 Zähne
~1,09~1,55~1,91
4. Ritzel
4. Gang hinten
20 Zähne
1,21,62,1
5. Ritzel
5. Gang hinten
18 Zähne
~1,33~1,89~2,33
6. Ritzel
6. Gang hinten
16 Zähne
1,5~2,13~2,63
7. Ritzel
7. Gang hinten
14 Zähne
~1,71~2,433

Wie man in der Tabelle sieht, hat man hier im niedrigsten Gang eine Übersetzung, die noch nicht mal eine 1:1-Übersetzung erreicht – das heißt also, wenn das Kettenblatt eine Drehung macht, macht das Laufrad keine ganze Umdrehung (sondern eben nur ungefähr eine 86%-Drehung). Denn schließlich hat das kleinste Kettenblatt weniger Zähne als das größte Ritzel. Andererseits macht das Laufrad drei ganze Umdrehungen pro Kurbelumdrehung im höchsten Gang – denn das größte Kettenblatt hat dreimal so viele Zähne wie das kleinste Ritzel.

Entfaltung am Beispiel

Wenn man nun die Entfaltung berechnen möchte, braucht man nur noch den Umfang des Laufrads. Für dieses Beispiel nehmen wir einen typischen 28-Zoll Erwachsenenreifen mit ETRTO 32-622. Damit haben wir einen Umfang von etwa 2,17m. Diesen Umfang multiplizieren wir mit der Übersetzung – dadurch erfahren wir schließlich, wie oft sich das Laufrad pro Kurbelumdrehung „entfaltet“.

Im niedrigsten Gang ergibt sich so eine Entfaltung von 1,78m – weniger als ein voller Reifenumfang. Im höchsten Gang hat man eine Entfaltung von 6,51m – das dreifache das Reifenumfangs.

Von der Entfaltung zur Geschwindigkeit

Wer jetzt noch weiter gehen möchte, kann damit auch noch die Geschwindigkeit berechnen. Denn dafür braucht man bloß noch die Trittfrequenz – also wie viele Kurbelumdrehungen man in der Minute macht. Diese liegt bei den meisten Fahrradfahrern irgendwo zwischen 70 und 100 Umdrehungen.

Wenn man als Trittfrequenz 70 nimmt (wie wir es auch in der vorherigen Tabelle gemacht haben) erhält man im höchsten Gang eine Geschwindigkeit von 455,7 Meter/Minute – man dupliziere einfach 70 mit der Entfaltung im höchsten Gang, welche 6,51m beträgt. Damit weiß man, welche Strecke man pro Minute zurücklegt. Umgerechnet in km/h sind das etwa 27 km/h.

Das alles sind natürlich – wie auch schon vorher angemerkt- nur theoretische Werte, da man zumeist noch gegen Luftwiderstand und Bodenhaftung ankämpft! Es sei denn, wenn man Bahnrad fährt und den Windschatten seines Vordermanns auskostet.

Hast Du noch weitere Fragen zu Übersetzung und Entfaltung? Schreib sie uns gerne in den Kommentaren.