Schmierige Ketten sind lästig. Radfahren kann so schön sein, wenn man nicht ständig eine quietschende Kette hätte. Oder umgekehrt nicht die Arbeit hätte diese zu reinigen und gut zu fetten, damit die Geräuschkulisse gar nicht erst entsteht. Und so versucht sich alle Saison wieder ein Hersteller an ein Produkt um das Leben besser zu machen. Kürzlich: Wolftooth Bicycle Components aus den USA. Es soll sogar Fetten und Reinigen zugleich!
Neben unzähligen anderen Kettenschmierstoffen habe ich nun einiges durch. Auch mehrere tausend Kilometer mit dem neuen Wunderzeug des eben genannten nachhaltigen Unternehmens. Hier lest ihr mehr über Ketteninhaltsstoffe, was das WT-1 besonders macht, und ob die Claims gehalten werden können.
Fahrradöle und Additive
Öl ist nicht gleich Öl. Und Viskosität ist alles. Denn Nähmaschinenöl soll zwar ein Geheimtipp sein, aber ein schlechter. Denn dieses Öl haftet nicht an der Kette und ist für den Einsatz im Außenbereich gar nicht bestimmt. Es wird schnell von Regen abgespült und die Kette rostet. Doch ein Öl, welches gut an der Kette haftet, zieht auch Dreck magisch an. Es kommt also auf die Einsatzzwecke und Umgebung als auch die Bindung von Schwebstoffen aus der Umgebung an. Ein Blick ins Detail ist notwendig.
Mit der Umgebung und Umwelt ist gemeint: wird das Rad primär im Trockenen gefahren oder auch im Regen? Ein stationäres Rennrad, welches im Indoor-Bereich im Training mit Radcomputer verwendet wird, oder eventuell nur als Schönwetter-Rad im Sommer und bei trockenen Straßen gefahren wird. Solch ein Rad und Kette kann auch mit einem weniger „klebrigen“ Öl gepflegt werden. Im englischen nennt man diese Art: Dry Lube. Trockenes Schmiermittel (hohe Viskosität, es wird schnell durch Wasser abgespült).
Hingegen ein Rad welches bei jedem Wetter gefahren wird braucht etwas besser haftendes. Das Öl darf sich nicht durch Regenwasser lösen. Solche Schmierstoffe nennt man im englischen umgekehrt: Wet Lube.
Nächster Punkt auf der Inhaltsliste: Additive. Neben der Mischung des Öls und damit seiner Viskosität gibt es viele Zusatzstoffe zu besprechen. Denn diese machen die Magie (des Marketings) aus. Hier unterscheiden sich die Produkte am Stärksten. Es gibt Mittel die Paraffine (Wachs) enthalten, Kevlar, Nanoparktikel und vieles mehr. Je nach Hersteller wird eine besonders saubere oder leicht laufende Kette versprochen. Oder gar beides (wie im Fall des WT-1 von Wolftooth).
Viele Inhaltsstoffe machen tatsächlich einen entscheidenden Unterschied in der Handhabung aus. Manche Schmierstoffe ziehen tatsächlich gar keinen Dreck mehr an (die Wachsbasierten). Noch mehr Tipps zu den Inhaltsstoffen lest ihr im allgemeinen Beitrag zu Kettenölen.
Nun können wir uns mit diesen Basics ausgestattet an das Produkt setzen.
Wolftooth Bicycle Components
Das US-basierte Unternehmen hat einige herausragende Eigenschaften, welche es in den letzten Jahren immer wieder aus der Masse haben herausstechen lassen. Die meisten Fahrradenthusiasten kennen den Laden als kleinen Nischenanbieter, welcher Produkte herstellt die keiner sonst machen würde. Beispielsweise eine Extension um das Schaltwerk wenige Millimeter tiefer zu hängen, um so die Reichweite eines Schaltwerks von maximal 32 Zähnen auf 40 zu erhöhen. Etwas, was Shimano so nie anbieten würde.
Gleichzeitig werden die Produkte in einer ausgezeichneten Qualität hergestellt und Nachhaltigkeit ist auch ein wichtiges Thema. Es wird eine Garantie auf die Verfügbarkeit von Ersatzteilen gegeben und alle Produkte sind reparierbar gestaltet. So zumindest beschreibt es der Gründer des Unternehmens im Gespräch mit James Huang von Cycling Tips (im Nerd Alert Podcast 30.10.2021).
Eine spannende Mischung die einen sehr Neugierig macht auf Neuentwicklungen. Und nun kommen sie mit einem neuen Kettenschmierstoff um die Ecke. Vielversprechende Grundlage. Vielleicht zu viele unrealistische Erwartungen?
WT-1 Kettenfett und -Reinigungsmittel
Bevor es darum geht das Produkt im Test zu zerlegen wollen wir mal sehen, was es denn können soll. Wolftooth verspricht ein Mittel, welches reinigt und schmiert während es an der Kette seinen Dienst tut. Bestandteil sind eine neue Mischung und geheime Inhaltsstoffe.
Zu 90% besteht das WT-1 aus Schmierstoff, laut eigener Aussage des Herstellers haben vergleichbare Mittel nur bis zu 20-30%. Zusätzlich enthält die Mischung auch reinigende Additive. Diese sollen Schmutzpartikel und Dreck im Inneren der Kette an die Oberfläche holen. Wo es einfach abgewischt werden kann. Wodurch auch die Haltbarkeit des gesamten Antriebs (Kette, Kassette, Kettenblätter, etc.) erhöht werden soll.
Außerdem ist es blau.
Wenn man genauer recherchiert, dann findet man heraus, dass Wolftooth (dessen Kern die Entwicklung von Komponenten wie Kettenblätter und andere mechanische Kleinteilen ist) mit Chemie nichts am Hut hat. Hinter der Entwicklung steht angeblich SCC Tech, ein weiteres US Unternehmen welches eine Produktsparte an Kettenschmiermitteln entwickelt hat.
Ist das WT-1 also ein Rebranding bekannter Mittel? Genaueres ist unbekannt. Aber schauen wir es uns mal im Test genauer an.
Kurz- und Langzeittest
Blauer Tropfen für blauer Tropfen wird jedes Röllchen der Kette mit dem Mittel benetzt.
Nun habe ich das WT-1 an mehreren Ketten getestet. Dabei habe ich in Summe mehr als 1.000km zurückgelegt. Und sehr sehr häufig die Kette gereinigt und neues WT-1 tropfenweise auf jedes Kettenglied einzeln aufgetragen. Während dieses meditativen Prozesses habe ich nicht nur sehr viel über mich selbst aber auch über Fahrradkettenreinigung und das blaue Wundermittel gelernt.
Einfach gesagt ist die Idee: einmal das Wolftooth Öl auftragen, einwirken lassen und Überschuss entfernen (grob und trocken Reinigen). Nach der ersten Ausfahrt noch einmal alles trocken abwischen und fertig.
Da das Mittel auch Verunreinigungen und Schmutzpartikel aus der Kette herauslösen soll, ist der zweite Schritt so wichtig. Schließlich reinigt das WT-1 ja auch, oder? Ab hier wird es wirklich schwierig mit den Marketing-Claims.
Von der reinen Anwenderperspektive ist es unmöglich zu bestätigen, ob diese Reinigung tatsächlich auftritt. Denn man hat einfach nach der ersten Ausfahrt eine stark verschmierte Kette. Sie ist pechschwarz und super schmierig. Aber hat das Mittel jetzt einfach nur neuen Schmutz gebunden oder soll das der Reinigungseffekt sein? Egal. Das Resultat für den Anwender ist ja gleich, man muss die Kette schon wieder abwischen und reinigen. Will man das?
Nun ist die wichtigste Frage: nach diesem initialen Durchlauf. Wie sauber bleibt die Kette? Auch nach der zweite, dritten und vierten Ausfahrt wird die Kette etwas schmutzig. Klar, durch das nachträgliche Reinigen der Oberfläche wird weniger Schmutz gesammelt. Doch damit unterscheidet sich das Mittel nun gar nicht von anderen Schmierstoffen. Die Kette wird schmutzig. Und ob der Schmutz nun aus dem Inneren kommt ist unklar (besagte reinigende Wirkung). Vermutlich eine Kombination aus beidem.
Bleiben noch die Claims der Langlebigkeit. Stimmt, das Kettenöl hält sehr gut an der Kette. Und auch Regenfahrten macht es gerne mit, die Kette bleibt nach längerer Nutzung still.
Jedoch kann ich weder einen Langzeittest mit mechanischen Wartungsintervallen anstellen (dazu bräuchte man mehrere Vergleichsgruppen mit mehreren Wartungsintervallen, also locker über ein Jahr im Parallelbetrieb). Da hört meine Motivation auch irgendwann auf, wo sie bei anderen erst los geht.
Jason Smith aus Australien hatte beispielsweise mit seiner Seite Friction Facts detaillierte Studien über tausende von Kilometern angelegt. So erfolgreich, dass diese Marke 2016 von Ceramic Speed übernommen wurde.
Mein Fazit
Das WT-1 von Wolftooth ist ein gutes Kettenmittel. Jedoch ist unklar und nicht nachvollziehbar, ob die genannten Claims auch nur annähernd gehalten werden können. Die besagte Reinigung von Innen ist eher eine normale Verunreinigung an der Oberfläche. Damit sehe ich keinen Unterschied zu anderen Schmierstoffen. Es ist aber sehr haltbar und kommt mit extremen Wetterbedingungen gut klar. Deshalb verwende ich es sehr gerne. Aber ob der hohe Preis gerechtfertigt ist muss jeder selbst entscheiden.
Was denkt ihr?